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Was bedeuten Gesamtarbeitsverträge für unsere Mitglieder heute?

Text: Andrea Frost-Hirschi, Rechtsberatung und Sozialpartnerschaften beim kfmv Bern


Wenn wir Ferien in unseren Nachbarländern verbringen, machen wir ihre Bekanntschaft: … la grève, lo scioppero… Plötzlich geht nichts mehr… Unser Museumsbesuch wird jäh unterbrochen und die Besucher:innen werden mehr

oder weniger höflich zum Gehen gedrängt… Die Müllabfuhr funktioniert nicht und in den Strassen türmen sich die Kehrichtsäcke… Der Zugsverkehr wird eingestellt… Reisende müssen selbst sehen, wie sie weiterkommen…


Diesen Situationen begegnen wir in der Schweiz glücklicherweise selten. Es gibt zwar Streiks, aber diese fallen kaum ins Gewicht. Ich erinnere mich an die Arbeitsniederlegung der Tram- und Buschauffeure in Basel vor vielen Jahren – sie kam bei der Bevölkerung gar nicht gut an – oder an einen Streik am Genfer Flughafen Cointrin. Aber ich kann diese Ereignisse an einer Hand abzählen. Warum diese Unterschiede?


Ein wesentlicher Grund für die sehr viel selteneren Arbeitsniederlegungen ist die Verbreitung von Gesamtarbeitsverträgen, sogenannte GAVs, in vielen Branchen und Betrieben. Es gibt sie auf Bundes-, auf Kantons-, auf Branchen- und auf Betriebsebene.

Ihr Gehalt ist unterschiedlich, ebenso die Zahl der angeschlossenen Betriebe und Mitarbeitenden.


Zentraler Gedanke all dieser GAVs ist die Sicherung des Arbeitsfriedens, d.h. der Verzicht auf Streik oder Ausschliessung, solange ein GAV besteht oder Verhandlungen

zwischen den Sozialpartnern geführt werden. Erst als «ultima ratio», also als letzter Ausweg, darf gestreikt bzw. ausgeschlossen werden, wenn Verhandlungen erfolglos geblieben sind.


Der Blick in bestehende GAVs, immerhin gibt es alleine rund 75 GAVs mit Geltung

auf Bundes- oder Kantonsebene, zeigt, dass deren Regelungsumfang erstens sehr unterschiedlich und zweitens sehr umfassend sein kann. Er reicht von der reinen Lohntabelle für einzelne Aufgabenbereiche bis hin zur umfassenden personalrechtlichen Regelung parallel und ergänzend zum privaten oder öffentlichen Arbeitsrecht. Der historische Blick auf die GAVs enthüllt interessante Zusammenhänge: Die sog. Friedenspflicht stand zu Beginn im Zentrum des Interesses vor allem der Arbeitgeber. Verständlich, wurde doch auch in der Schweiz im frühen 20. Jahrhundert oft und langfristig gestreikt, um arbeitnehmerseitige Interessen durchzusetzen. Auf der anderen Seite gab es zur gleichen Zeit das Bestreben, den Einfluss staatlicher Eingriffe zu begrenzen und stattdessen autonome Verhandlungen zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden zu führen. Insbesondere die totalitären Staaten rund um die Schweiz suchten nach Wegen, die Gestaltung arbeitsrechtlicher Fragestellungen in die eigene Hand zu nehmen und die Sozialpartnerschaft generell zu schwächen.



Die Autonomie sozialpartnerschaftlicher Lösungsfindung steht heute kaum mehr

in der politischen Kritik. Dazu hat sie sich zu gut bewährt. Das wissen beide Seiten.

Ab und zu gibt es Kritik, was die Regelungsdichte oder die generellen Arbeitsbedingungen angeht, aber Fundamentalkritik findet – zu Recht – kaum statt.


Was macht GAVs zu einem der Erfolgsfaktoren des Wirtschaftsstandorts Schweiz?

Zu erwähnen ist sicher der Umstand, dass sich Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:

innen regelmässig an einen Tisch setzen und anstehende Fragen gemeinsam erörtern. Es wäre falsch zu glauben, dass diese Gespräche immer harmonisch und problemlos verliefen. Aber im Grossen und Ganzen funktioniert die Sozialpartnerschaft und dadurch ist sichergestellt, dass beide Seiten im Gespräch bleiben. Einseitige Schuldzuweisungen sind schwieriger, wenn doch laufende Kontakte vorhanden sind… Zwar mag die eine Seite der andern eine klassenkämpferische oder eine kapitalistische Haltung vorhalten und im politischen Diskurs durchaus polemische Zuweisungen erfolgen. Aber im Alltag der Sozialpartnerschaft funktioniert das Miteinander wohl auch deshalb, weil die Beteiligten wissen, welchen Trumpf sie in Händen halten.


Meist sind auf beiden Seiten mehrere Vertretungen an einem GAV beteiligt. Der Kaufmännische Verband ist dabei Partner sowohl auf Bundesebene als auch auf kantonaler, regionaler oder auf der Ebene einzelner Betriebe. Der kfmv Bern ist Partner bei drei Verträgen: Schweizer Zucker AG, Krankenkasse kpt und (in Vertretung des Personalverbands der Stadt Bern) bei Elektro Wasser Bern ewb.

In diesen Verträgen sind rund 1’700 Mitarbeitende angeschlossen. Zurzeit ist zudem in GAV in Vorbereitung, der eine zeitlich beschränkte probeweise Verschiebung einer Verkaufsstunde vom Donnerstag auf den Samstag in der unteren Altstadt von Bern begleiten soll.


Wir sind stolz auf unsere langjährigen Partnerschaften in bedeutenden GAV-Verträgen. Als Berufsverband sind wir unseren Mitgliedern verpflichtet, für die wir uns für zukunftsfähige und fortschrittliche Arbeitsbedingungen einsetzen.

Gleichzeitig sind wir zuverlässige und kompetente Partner unserer Sozialpartner,

mit denen wir im regelmässigen Austausch stehen.


Ihr Kontakt für weitere Auskünfte:

Kaufmännischer Verband Bern

T +41 31 390 60 30 | info@kfmv-bern.ch

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