Die Berufsfachschule – ein Ort, wo nicht nur Karrieren, sondern auch Beziehungen entstehen
- karinburkhard
- 5. Juni
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Text: Lilly Toriola, Kommunikationsverantwortliche Wirtschaftsschule Thun
Die Wirtschaftsschule Thun (WST) ist nicht nur der Startpunkt vieler Karrieren,
sondern auch so mancher wunderbaren Liebesgeschichte. Ein besonderes Beispiel dafür sind Irene und Hans Ulrich Gerber, die diesen Frühling auf 50 Jahre Ehe zurückblicken. Kennengelernt haben sich die beiden in den 1960er-Jahren an der damaligen Kaufmännischen Berufsschule auf dem Thuner Schlossberg.
Das erste Mal aufeinander getroffen sind Hans Ulrich und Irene Gerber 1967 zwar an der Kaufmännischen Berufsschule (KBS) Thun, wie die Wirtschaftsschule Thun zu jener Zeit noch hiess. «Meine Frau mochte mich damals aber nicht wirklich», erinnert sich Hans Ulrich Gerber heute augenzwinkernd. Seine Frau lacht und ergänzt: «Stimmt, ich mochte ihn sogar überhaupt nicht!» Grund für ihre anfängliche Antipathie war, dass Hans Ulrich Gerber jeweils mit seinem Auto – einem auffälligen gelben Taunus 17M – auf den Schlossberg fuhr, wo die KBS damals war. Und dass, obwohl er nur wenige Gehminuten entfernt an der Unteren Hauptgasse wohnte, wie seine heutige Frau betont: «Ich lebte in Steffisburg und fuhr bei Wind und Wetter mit
dem Velo den steilen Schlossberg hinauf.» Der Klassenkamerad, der bereits im zweiten Lehrjahr ein eigenes Auto fuhr, sei ihr unglaublich grossspurig vorgekommen – «wie ein Junge aus der Grossstadt». Zudem sei er, trotz des kurzen
Schulwegs, ständig zu spät in der Schule erschienen und im Unterricht durch sein
unruhiges Wippen mit dem Bein aufgefallen.
«Er war zusammen mit einer Gruppe Klassenkameraden oft frech gegenüber Lehrpersonen, was mich nervte. Ich hätte ihn damals wirklich ungespitzt in den Boden hauen können», erinnert sich die 74-Jährige lachend. Hans Ulrich Gerbers Erinnerungen an seine spätere Frau sind hingegen weitaus positiver: «Sie stand vor dem Unterricht oft mit Freundinnen beim Eingang der KBS und trug einen grünen Rock mit einem goldenen Reissverschluss, der typisch Mode war in den Sechzigern.»

Erneute Begegnung
Beide absolvierten damals eine kaufmännische Berufslehre: Irene Gerber bei der
Firma Walter Hauenstein, Hans Ulrich Gerber im elterlichen Familienbetrieb, der traditionsreichen Thuner Firma Gerber Stegmann AG, heute bekannt als Ferroflex. Der 76-Jährige kombinierte seine kaufmännische Ausbildung gleichzeitig mit einer «Verkäuferlehre», was damals so möglich war. «Da ich in unserer Eisenwarenhandlung nicht nur im Büro, sondern auch viel im Verkauf tätig war, war das eine ideale Kombination», sagt Hans Ulrich Gerber. Nebst der Kaufmännischen Berufsschule gab es für Irene und Hans Ulrich Gerber noch einen weiteren Berührungspunkt: «Da die Firma Hauenstein in Thun diverse Liegenschaften verwaltete, für die unser Familienbetrieb AbfallContainer lieferte, hatten wir als Lernende geschäftlich intensiven Kontakt», erinnert sich Irene Gerber. Dennoch blieb ihre Meinung über ihren Klassenkameraden während der drei Lehrjahre 1967 bis 1970 unverändert.
Nach ihrer Ausbildung an der KBS verloren sich die beiden zunächst aus den
Augen. Hans Ulrich Gerber absolvierte während zweier Jahren seinen Militärdienst,
bevor er für ein Jahr nach Amerika ging, um erste berufliche Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Irene Gerber arbeitete während dieser Zeit zunächst
bei der Bieler Firma Elco, kehrte dann aber wieder in die Firma Walter Hauenstein
zurück. Erst nach Hans Ulrich Gerbers Rückkehr im Jahr 1974 kreuzten sich ihre Wege erneut, als er wieder im elterlichen Betrieb anfing. Dieses Mal jedoch mit einem anderen Ausgang: «Wir gingen dann doch mal zusammen einen Kaffee trinken», erinnert sich die 74-Jährige. Und im Gegensatz zur Berufsschulzeit
fand sie den jungen Kaufmann nun plötzlich sympathischer. «Er wirkte nicht
mehr so grossspurig und irgendwie erwachsen, was mir gefiel.» Bald war beiden klar, dass sie zusammengehörten:
Nachdem die beiden im März 1974 erstmals zusammen ausgegangen waren, fand bereits im November 1974 die Verlobung statt, im Mai 1975 läuteten schliesslich die Hochzeitsglocken.
Aufbau des «Hobby Heimberg»
Heute blicken die beiden Thuner auf 50 gemeinsame und erfüllte Jahre zurück. Besonders prägend war für die beiden im Rückblick der Aufbau des Bastler- und
Heimwerkerzentrums in Heimberg, das vielen unter dem Namen «Hobby Heimberg
» – oder in seinen Anfängen als Obirama oder «Hobby Kobi» – bekannt sein dürfte. «Mein Vater und zwei weitere Thuner Eisenwarenhändler gründeten das Unternehmen 1971, weil wir nebst unserem angestammten Eisenhandel für Handwerker ein Geschäft für Privatkunden aufbauen wollten.» Über die Jahre entstand so in Heimberg ein florierendes Unternehmen mit breitgefächertem Angebot für Gärtnerei-, Schreiner-, Maler- und Elektro-Artikel, aber auch mit Stoffen und einer grossen Bastelabteilung. In einer Zeit, als es in der Schweiz noch keine Baumärkte gab, war «Hobby Heimberg» somit der erste seiner Art.
Aufgrund seines Militärdienstes und Aufenthaltes in Amerika, trat Hans Ulrich Gerber nach der Unternehmensgründung erst 1974 wieder in den Betrieb ein. Ab 1978 führte er «Hobby Heimberg» schliesslich während 32 Jahren als Geschäftsführer. 2000 wurde das Unternehmen an Coop verkauft, heute gehört es zu Jumbo. Hans Ulrich Gerber blieb nach dem Verkauf vier weitere Jahre bis zu seiner Pensionierung im Betrieb. «Hobby Heimberg war beruflich wirklich mein Herzensprojekt», sagt Hans Ulrich Gerber. Die Belegschaft, die im Lauf der Jahre auf 70 Personen wuchs, sei wie eine zweite Familie gewesen.
Ein weiteres prägendes Kapitel war ihr Aufenthalt in Nigeria von 1976 bis 1978. Hans Ulrich Gerber leitete dort während zweier Jahre die Hardware Division North Nigeria und eröffnete für ein grosses Handelsunternehmen in Lagos einen Prepacking und Repair Shop, während Irene Gerber in der Schweizer Botschaft in Lagos arbeitete. «Es war eine unvergessliche Zeit», sagt sie. Die Diskrepanz zwischen extremer Armut und grossem Reichtum, die interkulturellen Herausforderungen in der Unternehmensführung und das Leben in einer internationalen Expat-Gemeinschaft prägten das Ehepaar nachhaltig. «Unsere lokalen Mitarbeitenden standen jeden Morgen um 7.30 Uhr pünktlich im Büro – obwohl viele von ihnen bereits um 5 Uhr morgens aufbrechen mussten. Ihr Fleiss und ihre Freundlichkeit haben mich tief beeindruckt. » Auch die Gefahren des Lebens in Nigeria waren präsent. «Es gab Situationen, in denen wir uns in ernster Gefahr befanden, beispielsweise nach politischen Unruhen in der Stadt», erinnert sich Hans Ulrich Gerber. «Doch trotz solcher Herausforderungen möchten wir diese Zeit nicht missen.»
Zwei Kinder krönen das Glück
Zurück in der Schweiz war die Geburt ihrer beiden Kinder in den Jahren 1979
und 1983 ein weiterer wichtiger Meilenstein. Während Hans Ulrich Gerber sich
um den Aufbau von «Hobby Heimberg» kümmerte, widmete sich seine Frau in
den darauffolgenden Jahren ganz der Familie. Trotz Herausforderungen, wie
einer schwierigen Frühgeburt ihrer Tochter, blicken die beiden mit grosser
Dankbarkeit auf diese Zeit zurück. «Für uns ist am allerwichtigsten, dass wir zwei
gesunde Kinder haben.» Wie auch ihre Eltern, haben beide Kinder von Irene und
Hans Ulrich Gerber an der Wirtschaftsschule Thun ihre kaufmännische Ausbildung
abgeschlossen. Damit haben sie eine langjährige Familientradition fortgeführt.
«Bereits unsere Grossväter waren Kaufleute», sagt Hans Ulrich Gerber.
Rückblickend sind sich die beiden einig: «Wir hatten das Glück, in einer wirtschaftlich aufstrebenden Zeit beruflich Fuss zu fassen. Es ging immer vorwärts
und wir hatten nie Probleme, eine Stelle zu finden.» 50 Jahre Ehe, zahlreiche berufliche Erfolge und wertvolle Lebenserfahrungen später blicken Irene und Hans
Ulrich Gerber auf eine bewegte gemeinsame Geschichte zurück. Ihre Liebe begann
vielleicht nicht auf den ersten Blick – doch sie wuchs mit der Zeit zu einer
tiefen, lebenslangen Partnerschaft heran.
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