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Digitale Wege, neue Fragen: KI in der beruflichen Grundbildung

Digitale Tools, und damit natürlich auch künstliche Intelligenz, sind in der Berufsbildung angekommen – nicht als Zukunftsvision, sondern als Realität.

Besonders in der kaufmännischen Grundbildung ist der Einsatz von BYOD und digitalen Programmen aller Art sowie KI-Tools wie Copilot, ChatGPT oder

Canva kaum mehr wegzudenken. Ein Verbot? Nicht sinnvoll. Nicht nur, weil der Nachweis beispielsweise in schriftlichen Projektarbeiten schwieriger wird

und die KI vermehrt in die Software integriert ist, sondern vor allem, weil die Anforderungen im Berufsalltag der Lernenden steigen – sowohl in Tempo wie in Qualität. Betriebe erwarten, dass Lernende (beispielsweise mit einem EFZ als

Kauffrau/Kaufmann) den Umgang mit digitalen Tools, aber auch KI beherrschen.



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Die Digitalität ist im Schulalltag vor allem in zwei Bereichen gut spürbar: Erstens sind die Lernmedien auf digitalen Plattformen verfügbar. Und zweitens sind die Lernenden schon längere Zeit mit BYOD unterwegs. Die Vorteile liegen darin, dass die Lernenden keine Bücher mehr schleppen und dass kein Mangel an PC-Arbeitszimmern mehr herrscht.


Zudem wird das Arbeitsmittel Nr. 1 der Kaufleute auch im schulischen Alltag angewendet. Die Herausforderungen liegen im Beherrschen des Geräts – die

Lernenden sind verantwortlich dafür, dass ihr Gerät einsatzbereit ist und bleibt

– und unter anderem in der Ablenkung, welche durch die digitalen Tools erhöht

wird. Diese Themen sind nicht neu; gerade die Ablenkung durch das Handy (das beispielsweise für die Authentifizierung, aber auch für einzelne Tools in der

Schule zwingend benötigt wird) ist seit über 15 Jahren ein Thema an Schulen, wie

auch Medienberichte zeigen.


KI als spezifisches digitales Tool bietet Vorteile in der Bereicherung von Lernprozessen. Texte vereinfachen und/oder korrigieren, Gesprächskompetenz

trainieren, Wissen testen: Lernende können mit KI als virtuellem Lernpartner,

Ideengeber, Diskussionspartner oder Feedbackquelle arbeiten. Doch genau

hierin besteht die Herausforderung: Viele Lernende prompten sofort, ohne die

Aufgabenstellung wirklich zu verstehen oder zu reflektieren. Auch die kritische

Auseinandersetzung mit den Ergebnissen ist für viele Lernende eine echte Herausforderung, weil sie noch wenig eigenes Wissen mitbringen. Hinzu kommt, und

das kennen auch viele gestandene Berufspersonen: Man wird bequemer, wenn ein Resultat sozusagen auf dem Silbertablett präsentiert wird.¹


Die Abschlussprüfungen (beispielsweise das Qualifikationsverfahren Kaufleute

EBA/Kaufleute EFZ) trägt der neuen KI-Welt Rechnung, indem (ausgeschlossen

der Austausch mit Drittpersonen) alle Tools zugelassen sind. Erhöhter Zeitdruck

und komplexere Aufgabenstellungen sollen die Eigenleistung sichern. Doch die

Beobachtung, die zudem wissenschaftlich belegt ist, bleibt: Wird KI genutzt, ohne zu

verstehen, bleibt wenig hängen. Es droht zudem die Gefahr, dass KI die Heterogenität

innerhalb einer Klasse oder Gruppe von Lernenden vergrössert, denn: Wer

mehr weiss oder kann, nutzt KI besser und hat so zusätzlich einen Vorteil.²


Diese Überlegungen zeigen: Es braucht mehr als die Tool-Kompetenz. Es braucht

Reflexion: Was kann ich selbst? Wo hilft mir KI sinnvoll weiter? Und wo verliere

ich mich in der Bequemlichkeit automatisierter Antworten? Diese Fragen müssen

Teil des Lernprozesses werden, und sie sind mindestens genauso wichtig wie die

Fähigkeit, gute Prompts zu formulieren und KI-Ergebnisse weiterzuverarbeiten.

Die Lehrpersonen stehen vor der Aufgabe, neue Lehr- und Lernsettings sowie

Aufgabenstellungen zu entwickeln, die KI als Hilfsmittel zulassen, aber individuelle

Eigenleistung fordern – durch Folgeaufgaben, Reflexion, Analyse, Präsentation.

Denn Lernen bedeutet mehr als nur Wissen aufnehmen; es generiert eigenes

Wissen – durch aktives, experimentierendes, reflexives Arbeiten mit Vorwissen

und digitalen Impulsen.


Das ist anspruchsvoll, denn es ist «mühsam» im buchstäblichen Sinn des Wortes:

Es braucht Effort und Mühe. Die Lehrpersonen müssen die Lernenden daher auch

anhalten, diese Mühe nicht zu scheuen, sondern im Lernprozess ihre eigenen

Fähigkeiten zu stärken. Die oft als «future skills» bezeichneten Fähigkeiten³ wie

Selbstmanagement, kritisches Denken oder Konfliktfähigkeit werden wichtiger

denn je. Sie zu schärfen, ist Arbeit.⁴

Dies zeigt uns auch: Je digitaler die Welt, desto zentraler wird das Analoge. Die Dialogfähigkeit, die körperliche Präsenz, die Fähigkeit der Beziehungspflege: Sie lassen sich nicht automatisieren, und sie sind und bleiben wichtig.


Die KI-Welt, in der die Lernenden leben und arbeiten werden, ist unvorhersehbar.

Umso wichtiger ist es, die Lernenden nicht nur technisch, sondern menschlich

darauf vorzubereiten. Nicht gegen KI, sondern mit und über KI zu bilden – das

ist die Herausforderung. Und die Chance.


An der WKS KV Bildung entdecken wir gemeinsam das Lehren und Lernen unter

den neuen Rahmenbedingungen; dazu gehört KI als Arbeitsinstrument.

¹ Josef Leisen, Professor für Didaktik an der Universität Mainz, der sich vertieft mit Konzepten des Lehrens und Lernens auseinandersetzt,

nennt dies den «ChatGPT-Effekt»: Menschen meiden die Anstrengung selbst nachzudenken, […] wenn KI das schneller kann.

(www.josefleisen.de, 29.7.2025).

² Ibid.

³ Siehe dazu beispielsweise die Ausführungen von Ulf Ehlers (https://ulf-ehlers.de/, 31.7.2025), oder des EHB (https://www.ehb.swiss/,

31.7.2025). Auch bei BIKAS ist das Thema von im Rahmen der Arbeitsmarktstudien zentral.

⁴ Siehe dazu auch die Ausführungen zum T hema Durchhaltevermögen von Angela Duckworth: «In the age of AI, st udents need teachers

MORE, not LESS. AI can be a powerful tool—or a crutch. It’s teachers who guide students to do the hard things now that pay off later,

and who model real intellectual engagement.” (LinkedIn Profil Angela Duckworth, 28.7.2025).

Text: Andrea Werder, Leiterin Nachholbildung und Handelsschule

für Erwachsene, Stv. Leiterin Berufsmaturität klassisch, Lehrperson Englisch und DeutschWKS KV Bildung

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